Beschwerden beim Fairness-Büro vervielfacht
Seit zwei Jahren bietet das im Landwirtschaftsministerium angesiedelte Fairness-Büro Bäuerinnen und Bauern sowie Lebensmittelpoduzent:innen anonyme und kostenlose Hilfe, wenn sie von unfairen Handels-
praktiken betroffen sind. Vergangene Woche stellte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig gemeinsam mit Johannes Abentung, Leiter des Fairness-Büros, den Tätigkeitsbericht 2023 vor. Dieser zeigt: Das starke Ungleichgewicht in der Lebensmittelkette hat sich durch eine Vervielfachung an Beschwerden im Jahr 2023 bestätigt. „Die Ergebnisse des zweiten Berichts geben einzelnen Händlern kein gutes Zeugnis“, wie BM Totschnig erklärte: „Während wir 2022 noch 21 Beschwerden hatten, waren es im Jahr 2023 schon 235 unmittelbare Beschwerden – ein explosionsartiger Anstieg. Zwei Fälle wurden an die Bundeswettbewerbsbehörde gemeldet. Wir werden uns weiterhin für unsere tagtäglich hart arbeitenden Bäuerinnen und Bauern und Produzenten gegen ein Ausnutzen von Machtpositionen wehren. Denn es ist völlig inakzeptabel, dass Händler Bäuerinnen und Bauern fast bis zum Bankrott auspressen – wie die Beispiele im Apfelhandel zeigen. Ich bin froh, dass mit der Hilfe des Fairness-Büros hier die BWB nun einen Antrag auf Geldbuße beim Kartellgericht eingebracht hat.“
Eigenmarken verstärken Ungleichgewicht
Im vergangenen Jahr haben die Beschwerden nicht nur an der Zahl, sondern auch an der Konkretheit zugenommen. Zentrale Wahrnehmung war u.a. die zunehmende Problematik der Eigenmarken. Der Anteil an Eigenmarken ist laut Roll-AMA Daten 2023 auf 53 Prozent im Lebensmitteleinzelhandel gestiegen. Das bedeutet eine Zunahme von 6,2 Prozent des wertmäßigen Anteils in den vergangenen drei Jahren. Dabei ist erkennbar, dass Eigenmarken das Machtungleichgewicht zugunsten des Käufers gegenüber dem Lieferanten weiter verstärken und die Nachfragemacht des Lebensmittelhändlers steigt. So werden etwa Lieferanten, die ihre Produktneuheiten dem Handel vorstellen, von ihren Käufern häufig dazu gedrängt, diese als Eigenmarkenprodukte zu liefern. Der Lieferant muss sich den Forderungen des Handels beugen, um nicht ausgelistet zu werden.
20 Beschwerden monatlich
Ein weiteres Ergebnis des Berichts zeigt, dass die Höhe der Boni- und Rabatt-Zahlungen stark mit dem Grad der
wirtschaftlichen Abhängigkeit des jeweiligen Lieferanten
korreliert. Beschwerdeführer meldeten außerdem, dass der Druck auf Lieferanten aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit gepaart mit der hohen
Verhandlungsmacht der Käufer weiter steigt. Besonders Bäuerinnen und Bauern würden diese Marktmacht noch stärker
abbekommen, wie Fairness-Büro Leiter Abentung ausführte: „Jeden Monat beschweren sich im Schnitt 20 Lieferanten
wegen unfairer Handelspraktiken beim Fairness-Büro. Die hohe Marktkonzentration von zwei Vollsortiment-Lebensmittelhändler zeigt, dass Lieferanten extremen Druck ausgesetzt sind. Die Gefahr von einem der beiden ausgelistet zu werden und damit einem einzigen Käufer ausgesetzt zu sein, ist existenzbedrohend wie uns Beschwerdeführer darlegen. Die Marktmacht der Handelsketten bringt bäuerliche Familienbetriebe sowie Lieferanten unter Druck und schadet den Konsumenten.“
Fallbeispiel „Apfel-Cluster“
Ein sogenanntes „Cluster“ wurde durch einen bzw. wenige Beschwerdeführer aufgedeckt und indizierte eine Vielzahl an Betroffenen: Im Apfelhandel sind unüblich lange
Zahlungsfristen von bis zu einem Jahr ab Lieferung oft
gelebte Praxis – dies zählt laut FWBG zu den absolut
verbotenen Handelspraktiken. Das Fairness-Büro hat
Beschwerden von zwei Apfelproduzenten aufgenommen.
Der Zahlungsverzug betrug etwas mehr als ein Jahr und trotz unzähliger Zahlungsaufforderungen und einer
existenzbedrohlichen Situation für die Bauern ist der Käufer säumig geblieben. Zusätzlich hat der Käufer Äpfel
als Abfall- oder Industrieware sortiert und damit dem
Apfelbauern Minusbeträge verrechnet, d.h. die Bauern
mussten für die gelieferten Äpfel noch etwas draufzahlen.
Dank Unterstützung des Fairness-Büros erhielten die
Apfel-Produzenten Unterstützung gegenüber dem
Großhändler. Für sie hat die BWB beim Kartellgericht Klage eingebracht und eine entsprechende Strafe wegen
erheblichen Zahlungsverzugs beantragt.