23.09.2021 | von Dipl.-HLFL-Ing. Josef Galler, Grünlandberater a. D.
In der Praxis wird immer wieder die Frage gestellt, wie sich eine ständige frühe Nutzung vor der Blüte auf den Gräserbestand auswirkt, wenn die Wiesengräser nicht mehr zum Absamen kommen. Welche Gräser aussamen müssen und welche nicht, soll folgender Beitrag beantworten.
Jede Gräserart hat im Laufe der Geschichte ihre eigene Strategie zum Überleben entwickelt. Dabei unterscheidet man grundsätzlich zwischen vegetativer und generativer Vermehrung.
Horst- oder Büschelgräser:
Wiesenschwingel, Glatthafer, Goldhafer, Knaulgras, Timothe (Wiesenlieschgras), Ital. Raygras, Kammgras, Aufrechte Trespe etc. bilden durch Bestockung Horste, deren Lebenszeit etwa mit vier bis fünf Jahren begrenzt ist. Deshalb sind alle Horst- und Büschelgräser auf gelegentliches Blühen und Aussamen angewiesen, wobei das Samenbildungspotenzial der Horstgräser mit zunehmendem Alter abnimmt.
Rasenbildner-Gräser (ausläufertreibend):
Diese können sich dank ihrer ober- und unterirdischen Kriechtriebe auch ohne abzusamen ausbreiten, also auch vegetativ vermehren und im Bestand ausbreiten. Dazu zählen die meisten Untergräser wie die Wiesenrispe, Rotstraußgras und mit Einschränkung auch der Wiesenfuchsschwanz, welcher jedoch durch seine extreme Frühreife fast immer zum Aussamen kommt. Das Deutsche Weidelgras (Englische Raygras) ist heute vorrangig ein Rasenbildner.
Auf Mähweiden mit einem Wechsel zwischen Schnitt- und Trittnutzung oder auf reinen Weideflächen werden durch ständigen Tritt verstärkt die ausläufertreibenden Gräser wie Wiesenrispe und das Deutsche Weidelgras bzw. in extensiveren Lagen das Straußgras und der Rotschwingel gefördert. Diese Gräser sind daher nicht auf das Aussamen angewiesen.
Alle Gräser, die verstärkt vegetative Ausläufer bilden, haben dafür meist eine schlechtere Samenproduktion, können sich aber auch ohne Aussamen im Bestand halten und in Verbindung mit einer Beweidung dichtere Grasnarben bilden als die Horstgräser.
Horstgräser wie das Knaulgras und das Wiesenlieschgras (Timothe) können sich aber dank ihrer starken Bewurzelung auch ohne Aussamen sehr lange im Bestand halten. Bei intensiverer Beweidung kann das Timothe auch verstärkt zwiebelartig verdichtete Kriechtriebe entwickeln, die auch einen fast rasigen Wuchs ermöglichen.
Horstgräser müssen aussamen
Bei einem späten Schnittzeitpunkt nach der Blüte nimmt durch den zunehmenden Rohfasergehalt auch die Futterqualität stärker ab. Deshalb wird heute vielfach früher (Beginn Ähren-/Rispenschieben) geerntet.
Bei ausschließlich früher Schnittnutzung (z.B. Silagenutzung zum Zeitpunkt der Halmstreckung) werden daher im Laufe der Jahre die Horstgräser stärker geschwächt, da zu diesem Zeitpunkt die Reservestoffeinlagerung in den Halmen noch nicht abgeschlossen ist. Darunter leidet das Deutsche Weidelgras stärker als das Knaulgras, da das Knaulgras schon früher mit der Reservestoffeinlagerung in den Halmen beginnt und deshalb weniger empfindlich auf eine frühere Schnittnutzung (zur Siloreife) reagiert.
Ausläufertreibende Gräser wie das Deutsche Weidelgras leiden weniger, wenn zwischendurch eine Beweidung erfolgt, da dann die ausläuferbildende (vegetative Vermehrung) stärker gefördert wird.
Typische Mähwiesen mit horstbildenden Leitgräsern wie Glatthafer, Goldhafer, Knaulgras oder Wiesenschwingel müssen gelegentlich absamen können, damit der Bestand nicht labil und lückig wird. Dadurch würde nicht nur die Futterverschmutzung steigen, sondern auch der Ertrag sinken.
Das Hauptproblem für das Verschwinden von Gräsern ist in der Regel nicht das mangelnde "Absamen", sondern vor allem die Tatsache, dass die "Leitgräser" für mittelintensive Nutzung (Glatthafer, Goldhafer, Wiesenschwingel) auf Dauer nur drei Nutzungen vertragen. Bei intensiverer Nutzung in Gunstlagen fallen diese Leitgräser immer mehr aus. Die Lücken werden dann von Kräutern bzw. der Gemeinen Rispe besetzt
Nutzung bestimmt Gräserbestand
Bei vier- bis fünfmaliger Nutzung können sich nur intensive Leitgräser wie das Deutsche Weidelgras (= Engl. Raygras) und das Knaulgras (späte Sorten verwenden) durchsetzen. In feuchteren Lagen, wo das Knaulgras nicht mehr gedeiht, wird dann der Wiesenfuchsschwanz zum Leitgras.
Ferner bestimmen Düngung und Nutzungsintensität das Leitgras. Das Grasgerüst sollte mindestens einen Gräseranteil von 60% aufweisen. Verhungern die Gräser, kommt es meist zu hohen Kräuteranteilen, die weniger Energie, aber höhere Konservierungsverluste haben. Speziell in Berglagen kann auch eine "Abgestufte Bewirtschaftungsintensität“ am selben Betrieb sinnvoll sein, wo die ebenen Flächen besser gedüngt und öfter genutzt werden als die Hanglagen.
Speicherort beeinflusst Regeneration
Neben der Wuchsform der Gräser bestimmt auch der Ort der Reservestoffspeicherung, die Schnitttiefe sowie der Schnittzeitpunkt deren Ausbreitung.
Die Reservestoffbildung ist die Grundlage für Regeneration, Kampfkraft und die Ertragsbildung im Bestand. Die Nutzungsart (Schnitt oder Tritt) sowie die Nutzungshäufigkeit nimmt auch Einfluss auf das Wurzelwachstum, die Bildung von Seitentrieben und das Nachwuchsvermögen.
Pflanzen speichern in unterschiedlichen Speicherorganen:
Wurzeln: Tiefwurzelnde Grünlandkräuter wie Ampfer, Doldenblütler etc. speichern bevorzugt in den Wurzeln. Unter den Gräsern besitzen das Knaulgras, Timothe und der Glatthafer ein relativ starkes Wurzelwerk mit kurzen Rhizomen.
Halmbasis: Das Deutsche Weidelgras sowie die Horstgräser speichern verstärkt in den Halmen (= Stoppeln).
Rhizome: Die Wiesenrispe, die Quecke, aber auch Horstgräser wie der Rohrschwingel haben starke unterirdische Wurzelausläufer (= unterirdische Sprossorgane ohne Hauptwurzel).
Stolonen: Der Weißklee, die Gemeine Rispe sowie der Ausläufertreibende Rotschwingel speichern verstärkt in den oberirdischen Kriechtrieben.